Bürgermeister im Dialog

Interview mit Dr. Philipp Rottwilm, Neuental

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Sie waren lange im Ausland, haben dort wissenschaftlich gearbeitet und sind Nordhessen doch immer verbunden geblieben – was waren die wichtigsten Stationen?

In der Tat stamme ich aus Neuental, wollte aber immer auch die weite Welt erkunden. Das habe ich gemacht: In Mannheim, Mailand und Harvard habe ich BWL studiert, anschließend in politischer Ökonomie in Oxford mit Station in Berlin promoviert. Data Science war hierbei gefragt. Parallel habe ich viele praktische Erfahrungen in Unternehmen und Organisationen gesammelt, unter anderem im Abgeordneten-Büro von Wolfgang Tiefensee (Bundesminister a.D.).

Bevor mich die Neuentaler zum Bürgermeister gewählt haben, habe ich bei einer großen Beratungsgesellschaft Prozesse in der Verwaltung optimiert. Das hat mich insgesamt auf meine jetzigen Aufgaben gut vorbereitet. Aber bei aller Weltläufigkeit: Ich bin Neuental immer verbunden und nah geblieben. Das habe ich besonders gemerkt, wenn ich beispielsweise während der Promotion in Großbritannien selbstverständlich immer den Hessischen Rundfunk gehört und die mitgebrachte gute Nordhessische „Ahle Wurscht“ gegessen habe. Ich bin ein Neuentaler, hier ist meine Heimat und meine Familie.

Jetzt sind Sie zurück in Neuental. Was macht die Region attraktiv?

Für mich ist der ländliche Raum Lebensqualität! Viele Dinge lassen sich in der Gemeinde Neuental zu Fuß erledigen, die Natur ist nie weit. Feld, Wald und Wiesen laden ein, wenn man Ausgleich, Kraft oder neue Ideen sucht. Ich habe nur ein paar Minuten zum nächsten See. Wer hat das in der Stadt?

Auch das Zusammenleben ist hier viel persönlicher: Man kennt sich, unterstützt sich und hält zusammen. Das mag ich sehr, insofern war für mich die Rückkehr nur eine Frage der Zeit. Allerdings erfordert modernes Landleben auch eine sehr gute Infrastruktur. Internet- und Verkehrsanschlüsse, Schulen, Kitas, attraktive Arbeitsplätze oder eine gute medizinische Nahversorgung – das gehört für mich ebenso zum Landleben. Es macht Spaß, den ländlichen Raum meiner Heimat weiterzuentwickeln.

Seit 2018 sind Sie Bürgermeister in Neuental und haben dazu die Chance. Was sind Ihre wichtigsten Projekte?

Das Landleben modernisieren – das reizt mich und daraus sind drei größere Projekte entstanden: erstens die Infrastruktur vor Ort verbessern, denn sie ist Grundlage für attraktives Leben auf dem Land. Zweitens Gewerbeansiedlung, denn qualifizierte Ausbildungs- und Arbeitsplätze und eine solide Wirtschaft sind das Rückgrat unserer Kommunen. Und drittens das wichtige Projekt: Smart Region Schwalm-Eder-West. Dies ist ein umfassendes Projekt mit vielen Unterthemen. Wir stellen die Infrastruktur in den Mittelpunkt, weil hier die entscheidenden Stellschrauben für Lebensqualität liegen. Dazu gehören neben guter Daseinsfürsorge und Glasfaser-Ausbau vor allem Digitalisierung und der Einsatz von Smart Region-Technologien. Das Ziel ist es, die Stärken der Region zu erhalten und gleichzeitig Nachteile durch moderne Technologie zu kompensieren.

Was verstehen Sie unter „Smart Region“ und warum ist das Thema für Sie wichtig?

Smart Region ist für uns konkret der Zusammenschluss von Kommunen, die ihre Ressourcen und Kompetenzen für die Digitalisierung bündeln. Das Land kann digital! Deshalb hat sich Neuental mit vier starken Nachbarkommunen im als Smart Region Schwalm-Eder-West zusammengeschlossen. Gemeinsam treiben wir Digitalisierung und Vernetzung voran. Am Anfang jeder digitalen Maßnahme steht dabei immer die Frage: Was haben unsere 31.000 Bürger*innen davon? Der Nutzen der Bürger*innen hat die höchste Priorität. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, wer sie aber richtig nutzt, kann vieles verbessern: Geld, Energie und Ressourcen einsparen, und beispielsweise die Umweltbilanz und die Mobilität erheblich verbessern.

Welche Aspekte halten Sie für den Strategieprozess für besonders relevant?

Ich würde drei zentrale Punkte sehen, die uns in der Smart Region-Umsetzung besonders helfen. „Schließt Euch zusammen“ – das war für uns eine wichtige Leitlinie, weil ländliche Kommunen andere Voraussetzungen haben als große Städte. Dann sollte man Projekte angehen, die unmittelbar Nutzen bringen. Wenn der erkennbar ist, nimmt man die Bürger*innen mit. Und drittens muss man seine Situation genau kennen. Es gibt keine Schablone für digitale Regionen, die man unabhängig von Ort und Ausgangssituation nutzen kann. Als Verantwortlicher braucht man auch Mut, neue Wege zu gehen. Aber es lohnt sich ohne jeden Zweifel.

Wie wird das Projekt Smart Region zum Erfolg?

Digitalisierungsprojekte sind gerade für ländliche Kommunen ein mächtiges Instrument, um nachhaltiger, effizienter und lebenswerter zu werden. Es ist zwar komplex, aber keine Raketenwissenschaft. „Habt keine Angst“ – das wollen wir den Verantwortlichen in deutschen Kommunen und den Beteiligten in den Projekten zurufen, um Berührungsängste abzubauen und in die Umsetzung zu kommen.

Pragmatisch planen ist dabei wichtig. Für uns hat sich ein*e Digitalisierungsbeauftragte*r bewährt, der in Neuental sitzt, aber für alle fünf Kommunen die Projekte federführend betreut. Diese dezidierte Ressource hilft, den Fokus zu halten und immer und immer wieder zu fragen: Können wir diesen Prozess mittels smarter Technologie besser machen? So etwa haben wir die Heizungs-, Lüftungs- und Beleuchtungssteuerung in kommunalen Liegenschaften in den Blick genommen. Bewährt haben sich für uns auch Quick Wins, also überschaubare Projekte mit dokumentiertem und vor allem schnell realisierbarem Nutzen: Intelligente Straßenbeleuchtung ist für alle Bürger*innen nicht nur unübersehbar – zumindest nachts – (lacht), sondern auch ein unmittelbarer Komfortgewinn und das bei geringerem Stromeinsatz. Wer Digitalisierung erklärt und das Potential greifbar macht, wird Erfolg haben.

Wie haben Sie gestartet?

Wir haben mit der Strategie-Entwicklung gleich 2018 begonnen und 2021 dann den regionalen Zusammenschluss von Bad Zwesten, Borken, Jesberg, Neuental und Wabern umgesetzt. Die Smart Region läuft als IKZ und wird vom Land Hessen mit 2,25 Mio. € gefördert. Parallel haben wir das OZG mit den digitalen Bürgerservices umgesetzt und digitalisieren auch die Rathäuser. Smart Administration, wie wir das Nennen, ist die Basis für weitere Digitalisierungsmaßnahmen in der Region, quasi die Voraussetzung, aber wir wollen noch viel weiter gehen.

Welche Bereiche gehen Sie als Smart Region Schwalm-Eder-West konkret an?

Fünf Entwicklungsfelder stehen für uns im Fokus: Smart Environment, Smart Building, Smart Lighting, Smart Tourism und Smart Traffic.

Hinter den Begriffen stehen verschiedene Use Cases: Wir wollen etwa die Lärm- und Luftbelastung mit Sensorik messen und analysieren. Klimaschutz und Digitalisierung gehören zusammen. Dann können wir auf Fakten-Grundlagen die Wegeführung angehen oder entscheiden, wo beispielsweise beim Ausbau der Autobahn A49 ggf. mehr Lärmschutz notwendig ist, oder aufzeigen, wo die Werte besser sind als subjektiv erwartet. Dann stellen wir die Straßenbeleuchtung auf smarte Steuerung um. Dasselbe geschieht im Handlungsfeld Smart Building, wo wir Lüftung, Heizung und Beleuchtung in öffentlichen Gebäuden analysieren und optimal steuern können. Jeder spricht von Smart Home und kann mit der App sein zuhause steuern – nur die öffentlichen Liegenschaften sind noch weit davon entfernt, dieses Potential effizient zu heben. Perspektivisch digitalisieren wir auch unser touristisches Angebot – unter anderem mit einem Online-Buchungssystem.

Welche Rolle spielt Technologie in einer Smart Region?

Es ist vielleicht schon angeklungen: Daten und ihre Interpretation sind das zentrale Element unseres Projektes. Daten aus vielen unterschiedlichen Quellen – Sensorik, Bürger-Feedback, amtliche Daten und so weiter – müssen zusammengeführt und analysiert werden. Hier schaffen wir einen Mehrwert für unsere Bürger*innen. Dafür ist eine sicherere und leistungsfähige Datenplattform wie cosma21 von der ekom21 unabdingbar. Es geht darum isolierten Datensilos zu vernetzen, zu filtern und zu analysieren. Eine Plattform muss zudem skalierbar und flexibel sein, um auch zukünftige Anwendungen umsetzen und stemmen zu können. Wir arbeiten hier mit Fraunhofer und vor allem der ekom21 sehr eng zusammen.

Wie arbeiten Sie mit der ekom21 konkret zusammen? Was sind Ihre Erfahrungen?

Die ekom21 ist schon lange ein bewährter Partner für uns. Die OZG-Umsetzung haben wir zusammen erfolgreich gemeistert. civento ist das Herz unserer Verwaltungsdigitalisierung – Technologie und Support laufen hervorragend. Neben den leistungsfähigen technischen Bausteinen, auf die wir uns verlassen können, liefert die ekom21 immer auch die notwendige fachliche Beratung bei Projekten. Smart Region ist komplex, aber zusammen mit einem Partner wie der ekom21 kann auch das Land mühelos digital!

Wenn Sie einen Return on Invest angeben müssten – welche Mehrwerte haben Bürger*innen und Region durch die Digitalisierung? Rechnet sich Smart Region?

Auf jeden Fall rechnet es sich für Kommunen in Digitalisierung zu investieren. Komfortgewinne und höhere Lebensqualität etwa durch besseren Umwelt- und Lärmschutz kommen bei jedem/jeder Bürger*in an. Und die bessere Ressourcen-Nutzung macht sich natürlich auch finanziell bemerkbar. Die intelligente Steuerung von Beleuchtung, Belüftung und Heizung in öffentlichen Gebäuden zahlen sich beispielsweise mittelfristig aus. Noch haben wir keine harten Zahlen, wir gehen aber von bis zu 30 Prozent Einsparungen durch digitale Steuerung je nach Gebäudetyp aus. Das gilt auch für intelligente LED-Straßenbeleuchtung oder den Einsatz von PV-Anlagen zum Eigenstromverbrauch.

Was entspannt Sie und macht Ihnen jenseits des Schaffensdranges Freude?

Ich schätze die Nähe zur Natur in Neuental und gehe im Sommer gerne im Neuenhainer See schwimmen, sonst auch gerne Wandern. Meine größte Aufmerksamkeit gilt aktuell meiner Familie und unserem kleinen Sohn. Das ist tatsächlich mein Mittelpunkt neben dem Rathaus. Wir kochen auch gerne und ich spiel sonntags mit ein paar Freunden in einer Band. Für den Ausgleich durch Sport fehlt mir im Moment oft die Zeit. Aber meine Fußball- und Tischtennisfreunde in Neuental kennen das schon. Man muss mich mehrmals fragen, dann spiele ich auch auf dem Weg vom Rathaus zur Familie mit. In Neuental ist eben alles ein wenig persönlicher.

Herr Dr. Rottwilm, besten Dank für das Gespräch.