Bürgermeister im Dialog

Wiesbaden wappnet sich für die Zukunft

Herr Mende, Sie sind seit Juli 2019 Oberbürgermeister von Wiesbaden. Was haben Sie sich vorgenommen?

Es ist mir vor allem wichtig, das politische Klima in der Stadt wieder zu verbessern. Momentan herrscht in den Gremien ein großes Misstrauen untereinander. Das blockiert zahlreiche Abläufe. Mein Ziel ist es, durch Verlässlichkeit, Transparenz und Integrität verlorengegangenes Vertrauen wiederaufzubauen. Ich möchte ein Klima schaffen, in dem die Entwicklung der Stadt wieder im Fokus des Interesses liegt.

 Was wollen Sie in Wiesbaden für die Bürger erreichen?

Ich möchte erreichen, dass Wiesbaden auch weiterhin eine lebens- und liebenswerte Stadt bleibt. Deshalb soll das sportliche und kulturelle Angebot gesichert werden. Ich möchte es schaffen, dass alle Menschen, egal ob sie zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem ÖPNV oder dem Auto unterwegs sind schnell und sicher an ihr Ziel kommen. Ich will gute Bildung für alle Kinder von Krippe und Kita bis zur Schule, der Ausbildung oder der Hochschule. Schließlich möchte ich erreichen, dass sich die verheerende Entwicklung der Mieten und Grundstückspreise endlich verlangsamt und sich auch Menschen mit geringerem Einkommen das Leben in Wiesbaden leisten können.

 Als Chef der Verwaltung kennen Sie Organisation und Struktur. Wie ist die Verwaltung aktuell aufgestellt? Welche Schritte zur Modernisierung der Verwaltung planen Sie?

Zunächst einmal möchte ich an dieser Stelle allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung danken. Ich habe erlebt, dass sie mit viel Einsatz jeden Tag eine hervorragende Arbeit für unsere Stadt leisten. Ein wichtiger Punkt zur Modernisierung der Verwaltung ist die Digitalisierung – damit meine ich sowohl die technische Ausstattung, als auch die Arbeitsabläufe, die angepasst werden müssen.

 Welche Rolle spielt Technologie für die Verwaltung aus Ihrer Sicht?

Grundsätzlich bieten digitale Technologien die Möglichkeit, auch Verwaltung stärker zu vernetzen. Durch einen Informationsaustausch zwischen den Ämtern entlang der Datenschutzrichtlinien können wir Wege für Bürgerinnen und Bürger verkürzen und Arbeitsabläufe innerhalb der Verwaltung effizienter organisieren. Insofern werden digitale Technologien, wie das ePayment, die Authentifizierung, die elektronische Signatur beispielsweise durch Video-Ident-Verfahren, das Verwaltungshandeln nachhaltig verändern.

 Was bedeutet das OZG für die Stadt Wiesbaden? Welche Verwaltungs-Innovationen werden möglich?

Wir wollen unter anderem die Schnittstelle zwischen Bürgerinnen und Bürgern in den Blick nehmen. Hier können manche Leistungen zukünftig rund um die Uhr angeboten werden, bspw. durch den Einsatz von Apps oder Chatbots. Das steigert die Erreichbarkeit, die Transparenz und schließlich auch die Leistungsfähigkeit der Verwaltung. Es ändert sich aber auch das Bild der Arbeit insgesamt. Anforderungen an Aus- und Fortbildung und die Personalentwicklung ändern sich, weil sich auch die Arbeitsabläufe verändern, um mit den technischen Veränderungen Schritt zu halten. Arbeit wird immer ortsunabhängiger. Damit wird Homeoffice für immer mehr Beschäftige möglich.

 Wie unterstützt die ekom21 Wiesbaden bei der digitalen Transformation?

Die ekom21 unterstützt uns bei vielfältigen Projekten, wie z.B. aktuell bei der Nacherfassung von Papierregistern. Auch an dem e-Payment-Provider ePay21 hat die Stadt Wiesbaden ein großes Interesse. Darüber hinaus setzen wir in einigen Bereichen erfolgreich die Software civento ein.

 Stichwort Smart-City: Wiesbaden ist gerade erst auf der Smart Country Convention ausgezeichnet worden. Wie nutzen Sie aktuell die neuen technologischen Möglichkeiten? Welche Projekte sind in Vorbereitung?

Wir investieren viel Geld in den Ausbau der Glasfaserinfrastruktur. Rund 65 % der Wiesbadener Schulen sind bereits mit Glasfaseranbindungen für hohe Bandbreiten versorgt. Wir schließen auch Kitas ans Breitbandnetz an und bauen öffentliches WLAN über Glasfaser aus. Neben der Glasfaser behalten wir aber auch moderne Funktechnologien im Blick. So hat die WiTCOM (Hinweis der Redaktion: Wiesbadener Informations- und Telekommunikations GmbH) ein flächendeckendes Netz für die neue Funktechnologie LoRaWAN aufgebaut. Es wird die Grundlage für zahlreiche SmartCity-Anwendungen bilden. Ein wichtiges Rückgrat unserer IT-Infrastruktur ist das ebenfalls von der WiTCOM betriebene Rechenzentrum für kommunale und geschäftliche Anwendungen und zentrale Datenspeicherung.

 In direkter Umsetzung ist das Projekt DIGI-V, das eine umweltsensitive Verkehrssteuerung vorsieht. Hiermit werden bundesweit erstmalig die Verkehre nicht nur in Abhängigkeit der Verkehrsstärke gesteuert, sondern es fließen Umweltmessdaten in die Steuerung ein. Damit können bei Grenzwertüberschreitung von Luftschadstoffen die Verkehre auf weniger belastete Straßen geleitet werden. Im Gegensatz zur traditionellen Verkehrssteuerung werden die Grünzeiten an den Ampeln künftig nicht nur nach den Ankünften der Autos, sondern auch der Busse, Fußgänger und Radfahrer verteilt.


 Klimaschutz und Verkehrskollaps – was planen Sie?

Hier besteht zweifellos ein großer Handlungsbedarf: Wiesbaden hat eine sehr hohe PKW-Dichte, zudem leidet die Stadt unter Durchgangs- und Pendlerverkehr. Die Straßen sind häufig verstopft, die Umwelt- und Klimabelastung hoch. Deswegen wollen wir Alternativen zum klassischen PKW stärken: ÖPNV, Rad- und Fußverkehr. Der Ausbau des Radwegenetzes in Wiesbaden schreitet mit großen Schritten voran, unser Fahrradverleihsystem wird stetig erweitert und in diesem Jahr konnten wir eine Kaufprämie für E-Lastenräder anbieten. Zudem räumen wir den Fußgängerinnen und Fußgängern mehr Platz ein – sei es durch neue Fußgängerzonen oder die Neuaufteilung des vorhandenen Straßenraums. Damit die Elektromobilität Fahrt aufnimmt, unterstützen wir u.a. den Bau neuer Ladesäulen und die Parkgebührenbefreiung für E-Fahrzeuge. Auch weitere Car-Sharing-Stellplätze, insbesondere in den hochverdichteten Innenstadtquartieren, sind in Planung. Neue Konzepte für das Parkraummanagement sowie für Logistikverkehre werden ebenfalls dazu beitragen, Fahrten in der Innenstadt zu reduzieren, CO2-Emissionen zu senken und die Mobilität unserer Stadt fit für die Zukunft zu machen.

 Man hört, der öffentliche Nahverkehr ist ein wichtiger Baustein Ihrer Zukunftsplanung. Was hat die Stadt vor, wie kommen Sie voran?

Wir möchten für unsere Stadt einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr, der auf saubere und moderne Technologien setzt. Unser Vorhaben, den kompletten ÖPNV emissionsfrei anzubieten, ist sicher eines der ambitioniertesten Deutschlands. Dazu zählt die vollständige Elektrifizierung unserer Busflotte, d.h. die Umstellung auf vollelektrische Batterie- sowie Brennstoffzellenbusse, die wir derzeit dank Förderung aus Bundesmitteln beschaffen. Außerdem arbeiten wir mit unseren Nachbarkommunen, der Landeshauptstadt Mainz und dem Rheingau-Taunus-Kreis, an der Umsetzung einer „CityBahn“, einer modernen Straßenbahn, die durch höhere Leistungsfähigkeit und Kapazität in der Lage ist, unsere Innenstadt zu entlasten und den Umstieg auf den ÖPNV zu erleichtern. Sie soll Rückgrat des ÖPNV-Systems werden. Aber auch die Preisgestaltung spielt eine wichtige Rolle: Um Mobilität für alle erschwinglich zu machen, wird 2021 ein 365-Euro-Jahresticket kommen. Nur so können wir erreichen, dass möglichst viele Menschen vom Auto auf den ÖPNV umsteigen.

 Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Herausforderungen für die Kommunalpolitik bis 2025?

Da ist zunächst der Umgang mit dem Wachstum zu nennen. Das Rhein-Main-Gebiet ist weiterhin extrem dynamisch und als Standort für Wohnen und Arbeit hoch attraktiv. Wir müssen es schaffen, den Menschen Lebensraum zu bieten, gleichzeitig den Verkehrsinfarkt verhindern und dabei so behutsam und planvoll vorgehen, dass wir den Charakter und den Charme unserer Stadt erhalten. Zudem müssen wir das Thema Klimaschutz noch stärker in den Blick nehmen und an der Verminderung des CO2-Ausstoßes arbeiten. Aber wir müssen auch den sozialen Zusammenhalt stärken und verhindern, dass die Gesellschaft immer weiter auseinander triftet. Die Schere zwischen Arm und Reich ist dabei eine sehr wichtige Bruchstelle, aber leider nicht die einzige, der wir uns annehmen müssen.

 Warum lohnt es sich, in Wiesbaden zu leben und zu arbeiten?

Ich glaube, das herausstechende Merkmal Wiesbadens ist seine Vielfalt. Zwischen dem Fluss und den Bergen, zwischen dem großstädtischen Zentrum und den kleinen Vororten, zwischen Ministerien und Start-Ups, zwischen Wellritzstraße und Kurhaus tummelt sich so viel liebenswerte kulturelle, kulinarische, sportliche, soziale und berufliche Vielfalt, dass es niemals langweilig wird. In jedem Fall hat man in Wiesbaden die Möglichkeit, aus jedem seiner Tage einen lohnenden Tag zu machen. Darüber hinaus besticht Wiesbaden durch seine Lage im Rhein-Main-Gebiet, seine Wirtschaftskraft, den zukunftsfähigen Branchenmix der Wirtschaft und die besonders hohe Beschäftigungsquote.

 Wie gewinnt man Bürger für die Kommunalpolitik und fördert Engagement?

Das ist kein einfaches Unterfangen. Die meisten politischen Sitzungen finden nach Feierabend statt. Oft dauern sie viele Stunden an. Politische Prozesse erscheinen manchmal quälend langsam und wer vor allem auf schnelle Erfolgsmeldungen aus ist, der wird enttäuscht werden. Trotzdem kann die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern gelingen, wenn sie frühzeitig eingebunden werden und insbesondere, wenn ihr Engagement tatsächlich Wertschätzung erfährt. Das kann nicht bedeuten, dass jeder seine Meinung durchsetzt, aber viele Menschen sind auch zufrieden, wenn ihre Argumente geprüft und ehrlich erwogen wurden.

 Wie soll Wiesbaden in 20 Jahren aussehen?

In zwanzig Jahren fahren viele Menschen bequem mit der City-Bahn zu ihrem Arbeitsplatz. Auf den Straßen summen autonome Elektroautos neben Fahrrädern und Shuttlebussen. Die Energie kommt beinahe vollständig aus erneuerbaren Quellen. Durch den medizinischen Fortschritt und eine gesündere Lebensführung erreichen noch mehr Menschen als heute ein hohes Alter. Durch die Digitalisierung und den Einsatz von Robotik und künstlicher Intelligenz müssen jedoch immer weniger Menschen Vollzeit arbeiten und so bleibt genug Zeit, sich um Kinder und alte Menschen zu kümmern. Die Stadt ist gewachsen. Das Ostfeld ist bebaut und bietet vielen neuen Wiesbadenerinnen und Wiesbadenern ein schönes Zuhause und innovativen Unternehmen einen guten Standort. Die Schulen sind gut in Schuss und ausgestattet mit hervorragender digitaler Infrastruktur. Die Kinder lernen dort den Umgang mit Pads und Computern, doch sie lernen auch den Wert des Lebens außerhalb digitaler Räume zu schätzen. Das ist vielleicht alles ein wenig utopisch, aber ich würde mich freuen, wenn es so käme.

 Was entspannt Sie? Wie verbringen Sie am liebsten Ihre freie Zeit?

Ich verbringe meine freie Zeit am liebsten mit meiner Familie. Ich war schon immer ein Familienmensch und das bleibe ich auch als Oberbürgermeister. Gemeinsam einen Ausflug machen, etwas Spielen, sich einfach nur unterhalten – dabei kann ich mich sehr gut entspannen und erholen.

 Herr Mende, vielen Dank für das Interview.