So wird die Zukunft hessischer Kommunen richtig smart

Interview mit Prof. Dr. Kristina Sinemus

e-info21: Das Land Hessen fokussiert sich stark auf die Förderung der Digitalisierung. Wie ist das Land aufgestellt? Welche Strategie verfolgt Hessen?

Sinemus: Wir haben der Digitalisierungsoffensive des Landes in dieser Legislaturperiode einen deutlichen Schub gegeben: Mit der ressortübergreifenden Bündelung und Steuerung der Digitalisierungsmaßnahmen durch mein Haus und einem inzwischen 1,2 Milliarden Euro starken Digitalbudget. Wir denken Digitalisierung im Querschnitt, wollen ihre Potentiale und Synergien heben und orientieren uns klar am Mehrwert der Digitalisierung für Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung.

Grundlage ist dabei eine klare, strategische Ausrichtung, die wir in unserer übergreifenden Strategie „Digitales Hessen – Wo Zukunft zuhause ist“ formuliert haben. Dazu gibt es Teilstrategien zu entscheidenden Handlungsfeldern wie die Gigabit-Strategie für eine starke und leistungsfähige digitale Infrastruktur, die KI-Zukunftsagenda zur Stärkung von „KI made in Hessen“ und die Strategie „Digitale Verwaltung Hessen 4.0“, mit der wir auf allen Ebenen kundenorientierte, digitale Prozesse und Dienstleistungen anschieben.

Welche Grundlagen sind für die „Smartisierung“ Hessens notwendig und wo legt das Land diese Grundlagen? Welche Handlungsfelder hat die Staatskanzlei definiert?

Eine wesentliche Voraussetzung der Digitalisierung in den Kommunen ist eine flächendeckende, leistungsfähige und innovative Infrastruktur. Hierzu zählen die Versorgung mit Gigabitnetzen und 5G für eine leistungsfähige und schnelle Datenübertragung ebenso wie energieeffiziente, nachhaltige Rechenzentren. Ganz entscheidend sind aber auch ein gemeinsames Verständnis des Nutzens der Digitalisierung auf allen Ebenen sowie der Qualifikation und des Voneinander-Lernens. Deshalb unterstützen wir die wachsende Smart Region-Community in Hessen mit Austausch- und Transferformaten – aber auch mit Fördermitteln für innovative Digitalisierungsvorhaben.

Sie haben Smart Region als eines von sechs zentralen Handlungsfeldern definiert. Was verstehen Sie darunter und welche Ziele verfolgt das Land Hessen?

Smarte Regionen sind Städte und Gemeinden, welche die Chancen der Digitalisierung nutzen. Sie bieten zum Beispiel das digitale Rathaus an, setzen auf moderne Arbeitsformen wie Co-Working-Spaces und machen Daten auf kommunalen Datenplattformen nutzbar.

Smart Region bedeutet nach unserem Verständnis, das Leben der Menschen durch den Einsatz intelligenter Lösungen in Stadt und Land angenehmer zu machen und Ressourcen zu schonen. Digitalisierung kann in sämtlichen kommunalen Handlungsfeldern einen Mehrwert bieten. Das Land Hessen verfolgt das Ziel, die Kommunen auf ihrem Weg zur smarten Stadt oder smarten Region durch Beratung, Förderung und Transparentmachen und Aufbereiten erzielter Erfolge in Vorreiter-Kommunen zu begleiten.

Und welche Chancen und Vorteile eröffnen sich die hessischen Kommunen mit Smart Region-Projekten?

Die Vorteile der Digitalisierung im kommunalen Umfeld sind vielfältig: Ressourcen einsparen, Teilhabe ermöglichen, resilienter werden. Ein wichtiger Punkt im kommunalen Umfeld ist, dass Digitalisierung eine breitere Wissensgrundlage schafft. Früher über Starkregenereignisse informiert werden, wissen, ob die Grünflächen tatsächlich Bewässerungsbedarf haben oder wie der Energiebedarf in einer kommunalen Liegenschaft aktuell ist. Mit digitalen Lösungen können umfangreiche Daten so erhoben und aufbereitet werden, dass am Ende fundierte Entscheidungen getroffen werden können, um zum Beispiel konkret Ressourcen einzusparen. Die Digitalisierung bietet aber auch neue Kommunikationskanäle, die etwa im Rahmen der Bürgerbeteiligung oder für den lokalen Handel wertvoll sind. Die Kommunen haben hervorragende Ideen, wie sie mithilfe der Digitalisierung vorankommen und wir mit unserem Förderprogramm das dazu passende Werkzeug.

Spannend, aber machen wir es mal konkret. Wie sehen denn konkrete Smart Region-Lösungen aus, die schon heute in Hessen umgesetzt werden?

Beispielsweise entsteht im Landkreis Fulda ein Frühalarmsystem, das ermöglicht, Starkregenereignisse frühzeitig zu prognostizieren. So werden bei drohender Gefahr in mehreren Stufen Behörden, Rettungskräfte sowie Bürgerinnen und Bürger alarmiert. In Hofbieber wird ein Monitoring der klimabeeinflussenden Faktoren im Gemeindegebiet aufgebaut, um leichter Lösungen für den Klimaschutz zu finden. In Kelsterbach gibt es ein Quartier, in dem ein Algorithmus Energieerzeugung und -verbrauch vor Ort optimal aufeinander abstimmt. Systeme, die Leckagen in Versorgungsrohren frühzeitig erkennen, Snapchat-basierte Beteiligungsformate für jüngere Menschen in Planungsverfahren oder On-Demand-Angebote im ländlichen Raum sind weitere Lösungen, die schon heute in Hessen zu sehen sind.

Wie unterstützt das Land die Kommunen konkret dabei, diese Potenziale zu heben und smarter zu werden?

Das Land hat zur Unterstützung der Kommunen gemeinsam mit der ekom21, dem House of Digital Transformation e.V. und der Hessen Trade & Invest eine virtuelle Geschäftsstelle „Smarte Region Hessen“ aufgebaut. Die ekom21 übernimmt hier eine wichtige Rolle, denn sie koordiniert innerhalb der Geschäftsstelle die kostenfreie, vom Land finanzierte Digitalisierungsberatung zum Thema Smart Region. Diese Beratung wird von den Kommunen sehr gut angenommen. Unsere Erfahrung: Wenn wir die Digitalisierung in die Fläche bringen und eine smarte Region Hessen entstehen lassen wollen, geht das nur gemeinsam. Deshalb haben wir die Geschäftsstelle auf viele Schultern verteilt. Die ekom21 hat als IT-Dienstleister der hessischen Kommunen dabei eine Schlüsselfunktion.

Neben der Geschäftsstelle ist unsere Förderung smarter Kommunen im Programm „Starke Heimat Hessen“ eine zweite wichtige Säule. Dabei unterstützen wir Kommunen bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer Smart Region-Lösungen, die dann für alle hessischen Gebietskörperschaften zur Nachnutzung aufbereitet werden sollen.

Das Land geht in seinen digitalen Zielen bewusst über die Ballungsräume hinaus und fördert auch den ländlichen Raum. Wie kann gerade der ländliche Raum von der Digitalisierung profitieren?

Gerade in ländlichen Regionen entstehen mithilfe der Digitalisierung neue Möglichkeiten der Standortpolitik. Die Chancen der Digitalisierung im ländlichen Raum sind vielfältig. So können digitale Technologien helfen, lange Fahrtwege zu vermeiden – virtuelle Sprechstunden, Co-Working-Spaces oder Online-Meetings sind nur einige ganz praktische Beispiele hierfür. Aber auch digitale Formen der Bürgerbeteiligung ermöglichen Menschen gerade auch im ländlichen Raum Möglichkeiten der Mitgestaltung – trotz großer Entfernungen.

Das klingt überzeugend, aber auch sehr ressourcen-intensiv. Wie unterstützt das Land die hessischen Kommunen? Welche Förderungen gibt es und wie qualifizieren sich Kommunen?

Das Land unterstützt Kommunen sowohl mit Fördermitteln als auch mit Beratung und Informationen. Jährlich stehen rund 16 Millionen Euro aus dem Programm „Starke Heimat Hessen“ zur Verfügung, um innovative und im besten Falle auch interkommunale Digitalisierungsvorhaben zu ermöglichen. Bereits 49 Projekte wurden auf den Weg gebracht, weitere werden in den kommenden Jahren folgen. Die Ergebnisse der modellhaften Projekte werden allen hessischen Kommunen zur Verfügung gestellt.

Neben den finanziellen Aspekten stehen kommunale Entscheider auch vor vielen technisch-konzeptionellen Fragen. Wo finden sie Unterstützung bei der Umsetzung technisch anspruchsvoller Smart Region-Projekte?

Die Geschäftsstelle Smarte Region Hessen steht den Kommunen mit Beratung, Informationsveranstaltungen, einer Best-Practice Datenbank, einem virtuellen Marktplatz, einem Digi-Check und weiteren Angeboten unterstützend zur Seite. Die Digitalisierungsberatung zum Thema Smart Region, die von der ekom21 in unserem Auftrag koordiniert wird, ist ein guter Weg für Kommunen, gemeinsam mit Expertinnen und Experten an konkreten Fragen zu arbeiten. Ganz wesentlich ist auch der Austausch zwischen den Kommunen. Hierfür bietet die Geschäftsstelle Smarte Region themenspezifische Erfahrungskreise an.

Der Hessische Digitalindex will Digitalisierungsfortschritte sichtbar machen. Was versprechen Sie sich von diesem Instrument und wie kommt Hessen voran?

Hessen hat als erstes Bundesland einen eigenen Digitalindex erstellen lassen, weil wir die Wirkung der eigenen Digitalstrategie messbar belegen und daraus lernen wollen. Deshalb haben wir zentrale Indikatoren für die jeweiligen Handlungsfelder identifiziert, um Fortschritte, aber auch Handlungsbedarfe aufzeigen zu können. Dazu haben wir auch Kommunen, Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger nach ihren Erfahrungen befragt.

Die Ergebnisse des ersten Digitalindex zeigen, dass die Digitalisierungsoffensive des Landes wirkt und entscheidende Fortschritte erzielt wurden: Ob beim Netzausbau in der Fläche, der digitalen Transformation im Mittelstand oder der Digitalisierung in den Kommunen. Auch die Nutzungsintensität digitaler Dienste im Alltag wurde – auch im Zuge der Pandemie – deutlich angetrieben, sowohl bei den Bürgerinnen und Bürgern als auch in Behörden oder Unternehmen. Deshalb setzen wir auch weiterhin auf Wissens- und Technologietransfer und die Förderung dieser Digitalisierungsprozesse.

Resilienz, Effizienz, Bürgernähe, Nachhaltigkeit – das sind einige der erwarteten Effekte von Smart Region-Projekten. Wenn wir zusammen in die Zukunft schauen, wie sehen die hessischen Kommunen 2035 aus?

In unserer Strategie „Digitales Hessen – Wo Zukunft zuhause ist“ blicken wir auf das Jahr 2030. Wir möchten mit den angestoßenen Maßnahmen erreichen, dass städtische und ländliche Regionen in Hessen sich zu Zukunftsorten mit hoher Lebensqualität und Nachhaltigkeit entwickeln. Smarte Lösungen sorgen dann für eine gesunde Umwelt und Komfort in allen Lebensbereichen wie Verkehr, Wohnen oder Bildung. Der digitale Assistent erledigt Alltagsarbeiten und autonom fahrende Kleinbusse sorgen für mehr Eigenständigkeit auch für Menschen mit körperlichen Einschränkungen.

Frau Staatsministerin, recht herzlichen Dank für das Interview.