Flucht aus der Ukraine
ekom21-Mitarbeiterin hilft an der polnisch-ukrainischen Grenze
Frau Schmitt, Sie sind Anfang März an die polnisch-ukrainische Grenze gereist, um Flüchtenden zu helfen. Wie kam es dazu?
Die Entscheidung für die Begleitung des Hilfskonvois ist ziemlich spontan gefallen. In meiner Heimatstadt Stadtallendorf hat sich Anfang März eine Gruppe Freiwilliger formiert, um Sachspenden an die polnisch-ukrainische Grenze zu transportieren. Für den Rückweg wollten wir Frauen und Kindern die Möglichkeit geben, mit uns nach Deutschland zu reisen. Da die Gruppe größtenteils aus Männern bestand, die ukrainischen Frauen aber schwer traumatisiert waren, habe ich ohne zu zögern eingewilligt, den Transport zu begleiten – zumal ich auch russisch spreche. Würden Sie freiwillig eine Gruppe fremder Männer begleiten, die nicht ihre Sprache sprechen? Ich nicht!
Sie haben berichtet, dass Sie große Hilfsbereitschaft aus den Reihen der Kolleginnen und Kollegen der ekom21 erhalten haben.
Ja, ich war völlig überwältigt von der Hilfsbereitschaft, die mir entgegengebracht wurde. Dank der Unterstützung seitens der Geschäftsführung und meines Unternehmensbereichsleiters Andreas Schemel erhielt ich einen Tag Sonderurlaub für meine Reise. Die Kolleg*innen aus meinem Unternehmensbereich unterstützten mich durch Sach- und Geldspenden, da wir beispielsweise für die Tankkosten privat aufgekommen sind.
Deutsche Hilfsgüter werden auf einen ukrainischen LKW geladen (Olga Schmitt)
Wie wurde die Reise in so kurzer Zeit geplant und wie haben Sie die Fahrt zur polnisch-ukrainischen Grenze erlebt?
Die Hilfsbereitschaft in meiner Stadt war enorm. Innerhalb von zwei Tagen haben wir elf Kleinbusse und zwei Kastenwagen mit jeweils zwei Fahrern pro Fahrzeug organisiert. Umliegende Firmen und ortsansässige Apotheken unterstützten uns mit Hilfsgütern wie Verbandsmaterial, Medikamente, Hygieneartikel, Babynahrung, Decken und Schlafsäcken. Die Hilfsorganisation Caritas vermittelte uns eine Kontaktperson an der Grenze zur Abnahme der Hilfsgüter.
Dennoch hatten wir mit einigen „Widrigkeiten“ zu kämpfen, mit denen wir nicht gerechnet hatten. In Polen konnten wir nicht jede Tankstelle nutzen, da Dieselkraftstoff größtenteils für Militärfahrzeuge freigehalten wurde. Zudem konnten wir unseren Zeitplan im Hellen abzuladen wegen langer Staus nicht einhalten. Nach über 18 Stunden Fahrt kamen wir endlich in der polnischen Grenzstadt Przemysl an. Meine Beine haben gezittert und die emotionale Anspannung war nicht zu leugnen.
Uns wurde nahegelegt, nicht an der Grenze zu übernachten, da Übergriffe auf Hilfskonvois leider keine Seltenheit sind. Also haben wir sofort nach Frauen und Kindern Ausschau gehalten, die mit uns nach Deutschland zurückreisen. Unsere Bilanz: 2.300 km, insgesamt mehr als 35 Stunden Fahrt, eine unproblematische Übergabe der Hilfsgüter und gleichzeitig die Mitnahme von 58 Frauen und Kindern nach Deutschland.
Wie verliefen die ersten Kontakte mit geflüchteten Frauen und Kindern? Was haben die Flüchtenden berichtet?
Die Situation vor Ort war erstmal undurchsichtig und völlig chaotisch. Jeden Tag kommen tausende Frauen und Kinder völlig erschöpft mit überfüllten Bussen und Zügen in die naheliegenden Grenzstädte. Sie sind total übermüdet, verängstigt und unterkühlt. Anfang März ist die Region dort verschneit und es herrschen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt.
Überraschenderweise war es anfangs nicht leicht die Flüchtenden zu überzeugen, dass wir ihnen nur helfen wollen. Aber nun kann ich das Verhalten leichter nachvollziehen: Die Menschen werden von einem auf den anderen Tag aus ihrem normalen Leben gerissen. Gestern hast du noch gearbeitet, die Schulbrote für deine Kinder geschmiert und am nächsten Tag musst du vor einem Krieg fliehen. Deine Heimatstadt wird bombardiert, die Sirenen gehen fast ununterbrochen. Das ist eine enorme nervliche Belastung. Denn du weißt nicht, ob du dein Heim oder deine Verwandten jemals wieder siehst.
Eine Mutter berichtete mir beispielsweise, dass ihre Zwillingsjungs, zwei Monate vor ihrem 18. Geburtstag, am Grenzübergang zurückgehalten und wieder ins Landesinnere zum Kämpfen geschickt wurden. Das sind unglaubliche Szenarien, die sich dort abspielen. Das kann man kaum in Worte fassen.
Ich bin einfach froh, dass wir einigen Menschen helfen konnten, sicher weiter zu reisen.
Situation an der Grenzstadt Przemysl (Foto: Olga Schmitt)
Was brauchen die Frauen und Kinder Ihrer Meinung am dringlichsten, sobald sie in Deutschland sind?
Eine sichere Zuflucht. Die Menschen kommen mit einem Rucksack voller Ängste und traumatischer Erlebnisse zu uns. Sie brauchen dringend Platz, wo sie sich zurückziehen und das Erlebte verarbeiten können. Es gibt viele Organisationen, die schnelle und unbürokratische Hilfe anbieten. Man kann sich beispielsweise bei örtlichen Behörden melden und privaten Wohnraum anbieten.
Auch Dolmetscher*innen werden benötigt, um bei den ersten Schritten in Deutschland zu helfen.
Frau Schmitt, vielen Dank für Ihre Eindrücke und das bisherige Engagement.
Wenn auch Sie den Flüchtlingen aus der Ukraine helfen möchten, wenden Sie sich bitte an Ihre Kommune oder örtlichen Hilfsorganisationen. Hier bekommen Sie Auskunft, welche regionale Unterstützungsleistungen geplant sind.