Experten im Dialog

Interview mit Björn Kelschenbach, Stadt Wetzlar

Björn Kelschenbach, Leiter Personal- und Organisationsamts, Wetzlar

Digitalisierungsberatung mit Smart City-Fokus – was war die Ausgangssituation in Wetzlar, um auf die ekom21 zuzugehen?

Am Anfang stand eine konkrete Herausforderung. Wir haben uns nicht abstrakt mit Smart City und ihren diversen Facetten beschäftigt, sondern wollen mithilfe digitaler Technologien wichtige Fragen für Wetzlar im Bereich Verkehr lösen. Wir wollen aktiv künstliche Intelligenz nutzen, um den Verkehr im Raum Wetzlar optimal zu steuern, denn der stößt schon heute häufig an seine Kapazitätsgrenzen.

Konkret geht es um Großbaustellen in den nächsten Jahren. Viele Hessen haben möglicherweise die marode Verkehrsader B 49 mit der Hochbrücke in Wetzlar schon erlebt oder zumindest davon gehört. Wie organisieren wir den Verkehr während Sanierung und Wegfall der Hochbrücke so, dass es nicht zum Kollaps kommt? Das ist unsere Herausforderung. An der Lösung arbeitet die gesamte Verwaltung, denn sehr viele Bereiche der Stadt sind betroffen. Dazu brauchten wir zunächst ein einheitliches und gemeinsames Verständnis. Den Startschuss dafür hat die Digitalisierungsberatung der ekom21 gegeben.

Wie verstehen Sie Smart City? Der Begriff kann ja viele Aspekte umfassen.

Sicher, es gibt für Smart City unterschiedliche Definitionen. Im Kern geht es aber um das Zusammenwirken von Technologie, Daten und Steuerungsaufgaben in den immer gleichen Wirkungsbereichen. Das haben wir im Workshop des Moduls „Digitalisierung der Kommune“ für uns ausgelotet und uns über die acht zentralen Wirkungsbereiche verständigt. Im Ergebnis haben wir uns dann auf den Wirkungsbereich Verkehr in Wechselwirkung zu den Bereichen Mensch und Wirtschaft fokussiert.

Mit Ihrer Erfahrung: Geht man Smart City-Projekte besser abstrakt oder konkret an?

Ich denke beide Herangehensweisen sind grundsätzlich möglich. Allerdings haben wir uns für den pragmatischen konkreten Weg entschieden und bisher sehr gute Erfahrungen mit diesem Ansatz gemacht. Zum einen haben wir nämlich echten Lösungsbedarf und können das Gelernte auch gleich in anderen Situationen nutzen. Andererseits verfügen wir gar nicht über die Ressourcen, um das Thema gesamtheitlich in allen Wirkungsbereichen gleichzeitig anzugehen.

Wie sind Sie zu ekom21 und der Digitalisierungsberatung gekommen?

Oh, das war eigentlich ganz einfach: durch Kontakte, Austausch und Ideen. Von der Digitalisierungsberatung hatte ich schon früher gehört, da war diese noch in der Entwicklung. Gleichzeitig hatten wir in Wetzlar bereits länger darüber gesprochen, was für eine enorme Herausforderung der Abriss der Hochstraße darstellen wird. Es macht aus meiner Sicht viel Sinn, bei solchen Aufgaben genau zu schauen, wie Digitalisierung helfen kann. Da passte das Unterstützungs-Angebot genau und kam uns sehr entgegen.

Drei Tage Workshop hatten Sie, richtig? Wie ist der Workshop abgelaufen? War viel Vorbereitung nötig?

Richtig, drei Tage war der gesetzte Zeitrahmen. Wir selbst hatten im Vorfeld praktisch keinen Aufwand, denn der Workshop war super vorbereitet. Gestartet haben wir mit einer allgemeinen Einführung ins Thema und dann einer Impuls-Session, um einen soliden Überblick zu gewinnen und uns in die Thematik einzufinden. Dann sind wir aber schnell konkret geworden und haben uns auf Wetzlar konzentriert. Zu allen Wirkungsbereichen der Digitalisierung haben wir den aktuellen Stand erhoben und ermittelt, welche Ziele und Themen für die Zukunft von Wetzlar besonders wichtig sind. Schade war, dass alle Sitzungen aufgrund der Pandemie rein digital stattfinden mussten. Das funktionierte zwar gut, aber in Präsenz wäre es sicher noch besser gewesen.

Welche Ziele hatten Sie definiert? Was waren die Ergebnisse?

Für Wetzlar haben wir die Wirkungsbereiche Mensch, Verkehr, Energie und Wirtschaft als besonders vielversprechend unter dem Aspekt Digitalisierung identifiziert. Der Workshop hat uns hier viele Impulse gegeben und geholfen, die nächsten Schritte zu strukturieren. Wir haben eine Fülle an Themen gesammelt und werden an diesen auch weiterarbeiten. Natürlich war der Reifegrad unterschiedlich – angefangen von Ideen bis hin zu sehr konkreten Überlegungen bei der Umsetzung von Maßnahmen. Den Reifegrad zu bestimmen ist ein wichtiger Schritt, um Chancen realistisch einzuschätzen und Informationslücken zu schließen.

Vor allem konnten wir so priorisieren und den Grundstein für das erste Projekt legen. Denn es war schnell klar, dass wir die Herausforderung B 49 Hochbrücke vorrangig lösen wollen. Ein wichtiges Ergebnis: Dies soll nicht isoliert im Sektor Verkehr geschehen, sondern unter Berücksichtigung der anderen drei Wirkungsbereiche. Erst durch die Vernetzung von Datenquellen – etwa Kfz, ÖPNV, Parken, Bahn etc. – schaffen wir eine Steuerungsgrundlage, um für alle Betroffenen zu einer optimalen Lösung zu kommen. Schließlich bedeutet Digitalisierung Vernetzung.

Wie geht die Stadt Wetzlar jetzt weiter vor? Wie sieht das erarbeitete Konzept aus?

Wir konnten durch die Digitalisierungsberatung der ekom21 einen guten Startpunkt schaffen und haben uns dann auch weiter beraten lassen. Daraus haben wir einen Förderantrag entwickelt und beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr eingereicht. Zu unserer großen Freude ist dieser jetzt auch bewilligt: Wetzlar wird vom Bund gefördert. Das Projekt trägt den Namen VLUID: „Verkehrslösungen für komplexe Umbauszenarien auf der Grundlage intelligenter Datenauswertung“. Fasst man das komplexe Projekt kurz zusammen, dann ist das Ziel: Wir wollen die Stadt Wetzlar mittels KI-basierter Planungswerkzeuge in die Lage versetzen, den Gesamtprozess der Baustellenphasen in Abstimmung mit den ausführenden Unternehmen so gut wie möglich zu managen. Die Erkenntnisse überführen wir anschließend in Handlungsempfehlungen und Lösungsansätze, damit man auch andernorts vom Wetzlarer Modell profitieren kann. Zugegeben, in dieser Größenordnung haben wir das in Wetzlar noch nicht gemacht. Deshalb ist die externe Unterstützung so wertvoll.

Was würden Sie anderen Städten und Gemeinden bei ähnlichen Projekten empfehlen?

Ich denke, es braucht konkrete Anwendungsfälle mit Handlungsdruck, damit man alle Akteure ins Boot bekommt. Smart City-Projekte sind immer behördenübergreifende Aufgaben, die nicht von einem Amt alleine bearbeitet werden können. Aber auch die Verwaltung einer Kommune insgesamt wäre vermutlich derzeit nicht in der Lage, eine solche Aufgabe zu stemmen. In der aktuellen Situation sind externe Unterstützung und Beratung unabdingbar, weil Erfahrungswerte in der Verwaltung noch überwiegend fehlen. Also: Wer sich interne und externe Unterstützung sichert, kommt zu guten Ergebnissen.

Was erwarten Sie sich von der „Digitalisierung der Kommune“ für die Mobilitätswende der kommenden Jahre?

Wir werden viele neue Konzepte als Folge der Mobilitätswende erleben. Konkret werden das Lösungen zur Reduktion von Parksuchverkehr und Lieferverkehr in der Stadt sein. Aber wir werden auch mehr Umstieg auf das Fahrrad und ergänzend dazu Carsharing-Angebote sehen, denn die Verkehrsteilnehmer ändern ihre Fahrbedürfnisse sicher als letztes. Daher müssen wir Lösungen finden, wie diese gewollten Wege effizienter, ökologischer und nachhaltiger zurückgelegt werden können. Hierbei wird sicher auch die jetzt gestartete Digitalisierung einen wichtigen Beitrag leisten.

Herr Kelschenbach, vielen Dank für das spannende Gespräch.


Weiterführende Informationen: