Lage und Handreichungen

Hass und Bedrohung in der Kommunalpolitik

Tendenz steigend

Bedrohungen von kommunalen Amtsträgern sind in Deutschland an der Tagesordnung. Zu diesem Ergebnis kommt das Fachmagazin „Kommunal“, das im Frühjahr 2020 im Auftrag des ARD-Magazins „Report aus München“ und mit Unterstützung des Meinungsforschungsinstituts Forsa 2.494 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister befragt hat. 64 Prozent der Befragten wurden 2020 beleidigt, beschimpft, bedroht oder sogar angegriffen. 2019 waren es noch 41 Prozent. Die Größe der Stadt oder Gemeinde spielt dabei offensichtlich keine entscheidende Rolle: Auch in Kommunen unter 5.000 Einwohnern teilen immerhin noch 58 Prozent die erschreckenden Erfahrungen, in Großstädten sind es 79 Prozent.

Lage in Hessen

Wie sieht es in den Hessischen Kommunen aus? Erst jüngst hat sich der Verband der kommunalen Wahlbeamten in Hessen e.V. (VKWH) der Frage angenommen und in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Rundfunk eine Online-Umfrage unter allen 423 hessischen Gemeinden und 21 Landkreisen durchgeführt.

„Rund 73 Prozent, das sind 322 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Landräte und Landrätinnen, sind dem Aufruf gefolgt und haben sich an der Umfrage beteiligt. Das Ergebnis ist erschreckend: In mehr als 200 Gemeinden und Landkreisen gab es in den vergangenen 12 Monaten Probleme mit Anfeindungen. Von den Bürgermeister/innen, Landräten und Landrätinnen selbst wurden mehr als die Hälfte beleidigt. Jeder 10. wurde bedroht. Bei den Gemeindemitarbeitern gaben 42 Prozent an, im vergangenen Jahr beleidigt oder bedroht worden zu sein“, fasst der Geschäftsführer des Verbandes, Karl-Christian Schelzke, das Ergebnis zusammen.

Ursachenforschung

Schelzke ist kein Unbekannter in der hessischen Kommunalpolitik; mehr als 20 Jahre war er Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebundes. Heute vertritt Schelzke die Interessen der hessischen Bürgermeister, Landräte und Beigeordneten im VKWH. Hier berät der ehemalige Staats- und Rechtsanwalt auch Betroffene von Bedrohungen.

Doch auch über individuelle Beratung und Verbandsarbeit hinaus haben sich in Hessen zahlreiche Kräfte formiert, um Ursachenforschung zu Hass und Bedrohungen gegen Kommunalpolitiker zu betreiben und hilfreiche Handreichungen zu erstellen. Und das auch auf oberster Ebene. Erst jüngst haben sich der Haupt- und der Innenausschuss des Hessischen Landtags mit der Ursachenforschung beschäftigt. Die gesammelten Stellungnahmen zur Anhörung „Gewalt gegen die hessische Zivilgesellschaft“ am 27.08.2020 geben wichtige Einblicke in die Lage aus Sicht von Polizei, Polizeigewerkschaft, gesellschaftlichen Organisationen, aber auch aus der Perspektive von Betroffenen wie Landrat a. D. Erich Pipa.

Was tun?

Was können Kommunalpolitiker also tun, wenn man sie in sozialen Netzwerken mit Hassbotschaften überzieht? Wer hilft ihnen bei Bedrohungen? Welche Sicherheitsvorkehrungen sind zu Hause sinnvoll, welche unterwegs? Wo gibt es Unterstützung, wer berät? Zu diesen Fragen hat das Nationale Zentrum für Kriminalprävention (NZK) im Frühjahr 2020 mit Unterstützung des Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes die Handreichung „Umgang mit Hass und Bedrohung - Hinweise für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitik“ herausgeben. Hier finden Betroffene nicht nur Hinweise der Polizei verständlich aufbereitet, sondern auch eine umfassende Liste von Unterstützungsangeboten, Ansprechpartnern und Beratungsstellen. Der Paritätische Gesamtverband hat sich in einem Ratgeber zu Hatespeech im Internet auf die Sozialen Medien konzentriert. Mit Hintergründen zu gängigen Hass- und Trollstrategien sowie praktischen und juristischen Tipps liefert der Ratgeber Betroffenen sofort umsetzbare Handlungsempfehlungen.

Solidarität gefragt

Aber reichen solche Empfehlungen aus? Liegt die Last, mit Hass und Bedrohungen umgehen zu müssen, alleine bei den Mandatsträgern? Der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Dr. Uwe Brandl, wird im Geleitwort der NZK-Handreichung deutlich: „Notwendig zur Unterstützung der Betroffenen ist es, dass diese sich der Solidarität der Mehrheit der Gesellschaft sicher sein können. Im Gegenzug kann dies für die Betroffenen und ihre Familien auch bedeuten, dass sie die Öffentlichkeit gezielt suchen und Bedrohungen gegen sie öffentlich machen“. Tatsächlich haben wohl Menge wie Intensität der Übergriffe auf Amtsträger manche Hessen überrascht. Wer hatte sich vor dem Lübcke-Mord und der zitierten Studie vor Augen geführt, dass 73 Prozent der Wahlbeamten in Hessen Übergriffen ausgesetzt sind?

Forderung

Und so geht von den Fakten eine klare Forderung an alle Bürgerinnen und Bürger aus. Karl-Christian Schelzke formuliert dies gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Wir müssen alle Bürger für die Zustände sensibilisieren und sie motivieren, den Betroffenen beizustehen und öffentlich für sie einzustehen“. Die Verantwortung liegt nicht allein bei den Betroffenen, die lernen müssen, mit der Bedrohung zu leben. Und wenn sich nichts ändert? Eric Engels, Bürgermeister von Fränkisch-Crumbach im Odenwald und Vorsitzender des Wahlbeamtenverbands, deutet die Folgen an: „Irgendwann gibt es keine Kandidaten mehr, die das Interesse aufbringen, sich in kommunalen Parlamenten zu engagieren. Das gilt es zu verhindern“. In der Tat, Kommunalpolitik ist die Sache aller Bürgerinnen und Bürger!

Weiterführende Informationen

Umfrage der Fachzeitschrift „Kommunal“ von 2020:
https://kommunal.de/index.php/kommunalpolitiker-umfrage-2020

Die Handreichung des NZK für Kommunalpolitiker zum Umgang mit Hass und Gewalt: https://www.nzkrim.de/fileadmin/nzk/NZK_Berichte/NZK_HR2020_WEB.pdf

Zu Hass und Hetze bei Twitter und Facebook hat der Paritätische Gesamtverband übersichtlich grundsätzliche Handreichungen zusammengestellt: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/Hatespeech_Handreichung.pdf

Der Verband der kommunalen Wahlbeamten in Hessen e.V. konstatiert eine zunehmende Verrohung in der Kommunalpolitik und unterstützt Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte:
https://www.vkwh.de/aktuelles.html

Wer mehr Hintergründe zur Gewalt gegen die Hessische Zivilgesellschaft sucht, findet Aussagen, aktuelle Einschätzungen und Zahlen in den Stellungnahmen zur gemeinsamen Anhörung von Hauptausschuss und Innenausschuss des Hessischen Landtages: https://hessischer-landtag.de/termine/hauptausschuss-gemeinsame-anh%C3%B6rung-mit-dem-innenausschuss-zum-thema-gewalt-gegen-die