Expertinnen im Dialog

Interview mit Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus, Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung

Smart hörte man bisher vor allem im Zusammenhang mit Wirtschaft oder Städten („Smart City“) – jetzt das Land. Was sind die Ziele von Smart Region in Hessen?

Ziel smarter Regionen ist es, mithilfe digitaler Technologien das Leben der Bürgerinnen und Bürger angenehmer zu gestalten, Ressourcen zu schonen, Inklusion und Teilhabe zu steigern. Die smarte Region ermöglicht den Handelnden aus Wirtschaft und Politik, mit digitalen Angeboten realen Nutzen für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Basis dafür ist der flächendeckende Ausbau einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur.

Die Digitalisierung birgt Chancen für alle – für den ländlichen Raum ebenso wie für die Metropole. Unter Smart Region subsumieren wir all diese Aktivitäten unabhängig von Art oder Größe des Ortes, an dem sie umgesetzt werden. Die interkommunale Zusammenarbeit im Sinne einer smarten Region kann dabei eine wichtige Rolle spielen, damit nicht jede Kommune „das Rad neu erfindet“. Ähnliches gilt für Lösungsansätze für die gesamte Gesellschaft, Vereine und Kultur. Wichtig ist: Der Mensch steht im Mittelpunkt und ihm soll die Digitalisierung nutzen. Eine Region ist dann smart, wenn alle Akteure sich zusammentun mit dem gemeinsamen Ziel, durch digitale Lösungen Mehrwerte vor Ort zu schaffen.

Spielt die ländliche Daseinsvorsorge eine Rolle?

Ja. Ob Energieversorgung, Ver- und Entsorgung, Mobilität, Katastrophenschutz, Bildung oder Gesundheit – alle Bereiche der Daseinsvorsorge können mithilfe digitaler Technologien unterstützt werden und so zur Verbesserung der Lebensqualität gerade auch im ländlichen Raum beitragen. So kann die Digitalisierung helfen, dass Versorgungsangebote zum Beispiel zu Gesundheitsleistungen oder Bildung in der Fläche verfügbar und/oder zugänglich bleiben. Ländlich geprägte Regionen können auf diesem Weg wieder an Attraktivität gewinnen. Das wird eine sehr spannende Entwicklung in den kommenden Jahren, die wir gezielt gestalten werden.

Welche Aufgaben hat die Geschäftsstelle Smarte Region Hessen? 

Die im Sommer 2020 eröffnete Geschäftsstelle soll die Kommunen unterstützen und arbeitet dazu mit verschiedenen Partnern. Angebote für kommunale Akteure und Anbieter von Smart City-Lösungen werden dort gebündelt oder neu entwickelt. Konkret heißt das: Wir beraten Kommunen bei der Digitalisierung, um beispielsweise eine Smart City-Strategie oder ein konkretes Umsetzungsprojekt zu konzipieren. Zudem haben wir eine Best Practice-Datenbank, in der kommunale Entscheiderinnen und Entscheider nachsehen können, welche Smart Region-Lösungen in Hessen bereits erfolgreich implementiert wurden. Darüber hinaus gibt es verschiedene Vernetzungsformate, bei denen zum Beispiel durch Regionalforen oder eine Sommertour smarte Lösungen diskutiert und auf den Weg gebracht werden können. Alle lernen dann voneinander. Außerdem kooperieren wir mit Partnern auf Bundes- und EU-Ebene, um Hessen noch stärker als Hotspot für smarte Städte und Regionen zu positionieren und gemeinsam einen Blick über den Tellerrand zu werfen.

Gemeinsame Datenräume sollen entstehen. Was kann man sich darunter vorstellen und welche Vorteile haben die hessischen Kommunen davon?

In einer Kommune werden viele unterschiedliche Daten produziert und gesammelt, vom Verkehr über Umweltdaten bis hin zum Energieverbrauch. Diese Daten werden bisher an verschiedenen Stellen gespeichert. Smart wird eine Stadt dann, wenn sie ihre Daten aus den verschiedenen Quellen sicher und vertrauenswürdig vernetzt und für verschiedene Zielgruppen zugänglich und nutzbar macht oder auch visualisiert. So können kommunale Entscheidungen und Planungen unterstützt werden – zugunsten einer besseren Lebensqualität der Menschen vor Ort.

Welche Aufgabe und Bedeutung kommt der ekom21 im Handlungsfeld „Smart Region“ zu?

Als IT-Dienstleister für die hessischen Kommunen bietet die ekom21 Digitalisierungslösungen nicht nur für digitale Bürgerservices, sondern auch für verschiedene weitere kommunale Handlungsfelder. Für uns in der Geschäftsstelle ist die ekom21 neben dem House of Digital Transformation e.V. und der Hessen Trade&Invest einer der zentralen Partner. Es besteht eine sehr enge Zusammenarbeit, um passgenaue, bedarfsorientierte Angebote zu entwickeln und die Kommunen so gemeinsam bestmöglich zu unterstützen. 

Ganz konkret ist die ekom21 mit der Umsetzung der Digitalisierungsberatung im Programm „Starke Heimat Hessen“ beauftragt, die jede Kommune in Hessen kostenfrei buchen kann. Themen sind die OZG-Umsetzung, aber zunehmend auch Smart City/Smart Region-Lösungen. Das Angebot wird sehr gut angenommen. Das liegt sicher auch daran, dass die über die ekom21 vermittelten Expertinnen und Experten sehr individuell auf Bedarf und Anforderungen vor Ort eingehen und breites Fach- und Erfahrungswissen einbringen. Die Erkenntnisse fließen wiederum in die Arbeit der Geschäftsstelle ein. Durch diese enge Verzahnung können Angebote systematisch an die Bedarfe angepasst und gleichzeitig aktuelle Informationen der Geschäftsstelle in die Kommunen getragen werden. Dies ist etwa bei der neuen Förderung smarter Kommunen und Regionen im Rahmen von „Starke Heimat Hessen“ der Fall. 

Wie können sich Städte und Kommunen aktiv einbringen? Welche Förderungen stehen bereit? 

Wir unterstützen mit der Geschäftsstelle den Austausch und Wissens- und Technologietransfer sowohl zwischen Kommunen als auch zwischen Kommunen und Anbietern smarter Lösungen. Diese können sich aktiv in Foren oder auch bei weiteren Veranstaltungen wie unserem jährlichen Kongress „Digitale Städte – Digitale Regionen“ einbringen, ihre Erfahrungen präsentieren und durch den Austausch mit anderen Kommunen wiederum ihre eigenen Projekte und Prozesse optimieren und sich inspirieren lassen. 

Seit vergangenem Jahr können wir auch eine Förderung anbieten: Mit dem Programm „Starke Heimat Hessen“ wurden den Kommunen 2020 neben der kostenlosen Bereitstellung der Digitalisierungsplattform civento der ekom21 zudem insgesamt 16 Millionen Euro als zweckgebundene Zuwendung für Digitalisierungsvorhaben der Verwaltung bereitgestellt. Alle 443 Kommunen haben einen Förderantrag gestellt und die Mittel wurden nahezu vollständig abgerufen. Damit sind wir der Realisierung „digitaler Rathäuser“ in Hessen einen großen Schritt nähergekommen.

In der zweiten Förderphase, die in diesem Jahr gestartet ist, unterstützten wir die Kommunen auf dem Weg der digitalen Transformation. Es werden vor allem Gemeinschaftsvorhaben mit Modellcharakter gefördert, beispielsweise Verwaltungsdigitalisierung, Smart Environment, Gesellschaft, Smart Mobility, Smart Business, Smart Health und Smart Energy. Jährlich stehen hierfür 16 Millionen Euro zur Verfügung. Projekte werden mit 100.000 Euro bis 2,5 Millionen Euro unterstützt – bei einer Förderquote von 90 Prozent und einer maximalen Laufzeit von zwei Jahren. Die bisherige Resonanz der Kommunen stimmt mich zuversichtlich, dass wir die Kommunen mit dieser Förderung gut unterstützen können. 

Können Sie schon Beispiele für die erfolgreiche Smart Region-Umsetzung nennen? 

Die Situation in Hessens Kommunen ist wie im gesamten Bundesgebiet sehr heterogen. Es gibt viele Kommunen, die bereits smarte Projekte auf den Weg gebracht haben. Andere haben eine Digitalstrategie entwickelt und setzen diese sukzessive mit konkreten Anwendungen um. In vielen Kommunen wurden dazu klare Verantwortlichkeiten für die Digitalisierung festgelegt. Es gibt aber auch Kommunen, die noch am Anfang des Weges stehen. Wir möchten allen Kommunen die passende Unterstützung geben, damit sie den nächsten Schritt der Digitalisierung meistern. 

Eine Kommune, die nicht nur für Hessen, sondern auch auf Bundesebene und international Modellcharakter hat, ist die Digitalstadt Darmstadt. Wir sammeln hier auch Erfahrungen für andere hessische Kommunen, weshalb das Land die Digitalstadt über einen längeren Zeitraum fördert. Darmstadt hat von Beginn an einen stark partizipativen und ganzheitlichen Ansatz verfolgt. So werden Projekte in insgesamt 14 Handlungsfeldern umgesetzt und Anfang des Jahres konnte Darmstadt als eine der ersten Kommunen eine Datenplattform als zentrales Element der Smart City live schalten. 

Auch Bad Hersfeld ist über die Grenzen Hessens für seine Smart City-Ansätze bekannt. Hier ist beeindruckend, dass sich die Stadt mit großem Engagement und viel Eigenleistung inzwischen zu einer Smart City entwickelt hat. Weiterhin sind auch die hessischen Gewinner des Bundeswettbewerbs „Smart Cities made in Germany“ zu nennen: Neben Darmstadt sind dies Eichenzell und Kassel. Ich bin sehr gespannt, was wir in den kommenden Jahren noch sehen werden.

Aber auch viele andere Kommunen sind sehr aktiv und leisten Erstaunliches bei der Umsetzung innovativer und zukunftsweisender Projekte: Von der DorfFunk App in Nüsttal über die digitale Bürgerbeteiligungsplattform in Eltville bis zum Smart Campus in Eichenzell. In der Best Practice-Datenbank der Geschäftsstelle sind einige davon zu finden. 

Was sind die aktuell drei wichtigsten Herausforderungen für das Handlungsfeld Smart Region? 

Eine wesentliche Herausforderung sehe ich darin, dass nicht jede Kommune den Weg der Digitalisierung alleine geht. Bei Digitalisierungsvorhaben liegt großes Potenzial in der Zusammenarbeit und in Open Source-Lösungen. Dieses Potenzial wollen wir gemeinsam mit den Kommunen heben – die oben genannten Transferformate und Plattformangebote verstehen wir als Basis für gemeinsame Digitalisierungsvorhaben.

Zweites könnte die angespannte Haushaltssituation in vielen Kommunen zu anderen Schwerpunktsetzungen führen. Dem begegnet die Landesregierung mit entsprechenden Förderprogrammen wie „Starke Heimat Hessen“.

Und drittens sind IT-Sicherheit und Datenschutz ebenfalls Herausforderungen smarter Kommunen. Beides ist elementar, wenn es um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in smarte Anwendungen geht. Hier setzen wir mit verschiedenen Informations- und Schulungsangeboten an. Vorteilhaft ist, dass wir hier auf die eigenen (wissenschaftlichen) Kompetenzen in Hessen setzen können.

Frau Staatsministerin, herzlichen Dank für das Interview!