Experten im Dialog

Andreas Schemel über die Einführung der Doppik

Seit Januar 2009 hat Hessen die Doppik verpflichtend eingeführt. Was waren die Gründe und warum reichte die Kameralistik nicht mehr aus?

Die doppelte Buchführung ist seit ihrer Einführung bei den oberitalienischen Stadtstaaten im 15. Jahrhundert ein Erfolgsmodell für effizientes Wirtschaften. Die Verwaltung hatte lange Zeit einen anderen Fokus, man orientierte sich stark an den Einnahmen. Mit den Überlegungen zu einem neuen kommunalen Finanzmanagement in den 80er bis 90er Jahren hat sich der Fokus weg vom Input, hin zu den Ergebnissen der Verwaltungstätigkeit verschoben. Es geht letztlich um einen neuen Steuerungsansatz für die Kommunen. Das NKRS (Neues Kommunales Rechnungs- und Steuerungssystem) hat in Hessen die Kameralistik aus finanzwirtschaftlicher Sicht abgelöst und mit der Doppik eine neue Steuerungsgrundlage geschaffen.

Damit lässt sich dann auch ein Controlling, wie in der Privatwirtschaft, aufbauen. Die Kämmerer können mit der Doppik neue Steuerungselemente nutzen und sich an Ressourcenverbrauch und kommunalem Vermögen orientieren. Für Bürger war der Wechsel zur Doppik zudem mit mehr Transparenz verbunden. Seit 2009 ist sie in ganz Hessen auf kommunaler Ebene verpflichtend.

Wie funktioniert die Doppik, welche Vorteile hat sie im Verwaltungskontext?

In der Tat bestehen Transparenzgewinn und weitere Vorteile darin, dass sich die Buchführungen der öffentlichen Verwaltungen kaum von der Buchführung in der Privatwirtschaft unterscheiden. Bürger können nachvollziehen, woher die Mittel kommen, wie sie verwendet werden und welche Ziele erreicht werden. Man sieht nicht nur, ob die Mittel reichen, sondern auch welche Ziele sich mit welchem Aufwand umsetzen lassen. Die Doppik mit ihrer doppelten Buchführung funktioniert ähnlich wie in der Privatwirtschaft. Jeder Geschäftsvorfall wird doppelt gebucht; es gibt also immer ein Konto und ein Gegenkonto. Dies dient schließlich – wie in Unternehmen auch – zur Ermittlung des Gewinns oder Verlustes durch das Aufstellen der Vermögens-, der Erfolgs- und der Finanzrechnung. Am Ende steht eine kommunale Bilanz. Jetzt ist für jedermann offensichtlich, wie gut die Kommune mit den Mitteln der Bürger gewirtschaftet hat.

Wie ist die Umstellung abgelaufen? Können Sie sich noch erinnern, welche Kommune als erste umgestellt hat?

Oh, das war eine Menge Arbeit. Aber wir haben auch viel gelernt und sind schneller geworden. So konnten wir Projekte blockweise umstellen, sprich immer mehrere Kommunen pro Jahr auf einen Streich umstellen. Angefangen haben wir 2005. Die erste Kommune in Hessen mit kaufmännischer Buchhaltung war Kassel.

Inwieweit hat man die Umstellung auch für die generelle technische und organisatorische Modernisierung der kommunalen Finanzverwaltungen genutzt?

Tatsächlich war die Umstellung Teil einer größer angelegten Neuorganisation der Verwaltung. Um mehr Effizienz und Transparenz zu erreichen, hat man sich organisatorisch ganz bewusst neu aufgestellt. Voraussetzung dafür war auch eine neue technische Infrastruktur. Die Arbeitsplatz-Rechner der kommunalen Finanzprofis mussten erneuert und neue Buchhaltungssoftware eingeführt werden – beispielsweise, um die Anlagenbuchhaltung integrieren zu können. Damit einher ging die Definition neuer Prozesse und Abläufe. Kurzum: Der Modernisierungsschub war beträchtlich.

Und die Mitarbeiter der kommunalen Finanzverwaltungen?

Eine sehr gute Frage. Wir haben zusammen mit den Verwaltungen auf die Ausbildung der Mitarbeiter geachtet und darauf gedrungen. Einerseits muss man die Menschen bei dem Wandel natürlich „mitnehmen“ und motivieren, anderseits aber auch qualifizieren. Viele Tätigkeiten waren neu und ungewohnt, da helfen Schulungen. Das hat auch Mehrarbeit bedeutet. Am Ende aber – und das ist die einhellige Auffassung in der hessischen Kämmerer-Community – hat sich die Mühe bei der Umstellung auf Doppik mehr als gelohnt.

Lassen Sie uns zur Gegenwart kommen: Was bewegt das kommunale Finanz- und Rechnungswesen aktuell?

Es ist wie in vielen anderen Bereichen auch: Die Digitalisierung beschäftigt unsere Kämmerer stark. Technologie bietet große Chancen zur Rationalisierung und Optimierung, konkret auch in der Finanzverwaltung. Je mehr Prozesse automatisiert sind, desto weniger anfällig sind diese für Fehler und desto preiswerter sind sie zudem für den Steuer-Bürger. Hinzu kommt aber, dass die Digitalisierung der Verwaltung auch eine Antwort auf den sich immer mehr abzeichnenden Fachkräfte-Mangel ist.

Insofern sind Fachverfahren, wie der digitale Rechnungsworkflow, die e-Rechnung oder Online-Bezahlungen mit epay21 bei unseren Kunden gerade heiß diskutiert. Hinzu kommt – vielleicht mehr durch den Gesetzgeber motiviert – das Online Zugangsgesetz (OZG). Es ist klar, dass Kommunen in absehbarer Zeit dem Bürger viele Dienstleistungen per Internet zur Verfügung stellen müssen. Da müssen Kommunen zwar mitmachen, viele wollen aber explizit auch durch besonderen Bürgerservice punkten oder einfach Vorreiter sein.

Können Sie als Experte verstärkt Konzepte für finanzpolitische Nachhaltigkeit erkennen und wie sehen diese aus?

Rechnungs- und Finanzwirtschaft ist für eine Kommune zwar eine sehr wichtige, aber auch eine unheimlich aufwendige Tätigkeit. Sie erfordert viel und spezielles Know-how. Gerade kleinere Kommunen, die mit fünf Allroundern die komplette Verwaltung einer Kommune stemmen müssen – vom Standesamtswesen bis zum Ordnungswesen – tun sich hier manchmal schwer. Der beste Weg ist nach unserer Erfahrung die Bündelung der Kompetenzen in einem größeren Verbund.

In der Interkommunalen Zusammenarbeit (IKZ) können Kommunen ihre Kompetenzen wechselseitig ergänzen. Das hat sich bewährt. Eine andere Option sind Fusionen ganzer Gemeinden. Manche werden die Entstehung der Stadt Oberzent verfolgt haben. Hatte die einfo digital nicht vor kurzem ein spannendes Interview mit dem Bürgermeister von Oberzent? (Anmerkung der Redaktion: Stimmt. Das Interview zur Fusion in Oberzent finden Sie auf unserer Homepage unter der Rubrik „einfo21 digital“ aus dem Jahr 2018).

Wie unterstützt die ekom21 die kommunalen Finanz- und Rechnungsprofis?

Wir sind sehr intensiv im Austausch mit den Kunden und unterstützen vor Ort. Das beginnt mit Analysen und der Strategie-Entwicklung: Wo ist Handlungsbedarf, wie lässt sich mehr Effizienz schaffen, welche organisatorischen Änderungen empfehlen sich? Dann beraten wir aber auch konkret zu Hard- und Software-Ausstattung, nehmen diese in Betrieb und schulen die Mitarbeiter. Ein besonders wichtiger Aspekt sind allerdings immer wieder Gesetzesänderungen, die schnell umgesetzt werden müssen. Da sind dann manches Mal auch Sonderschichten nötig, schließlich soll es bei unseren Kunden tadellos laufen.

Wie kann Künstliche Intelligenz (KI) in der Finanzverwaltung helfen?

KI ist eine interessante Technologie im Rechnungswesen. Und wir setzen diese in der Tat auch ein; allerdings erwarten wir in den kommenden zehn Jahren noch deutlich mehr Anwendungsszenarien. Das OZG wird das auch fördern, da bin ich mir sicher. Ein Beispiel für Innovationskraft und Verbesserung des Verwaltungshandels ist etwa mit dem Verfahren „DTEIN“ verbunden. Hiermit lassen sich Zahlungseingänge automatisch einlesen und verbuchen. Das spart viel Zeit und Mühe. Stellen Sie sich die Erleichterung im Ordnungsamt vor, wenn jetzt die „Knöllchen“ alle automatisch zugeordnet, als erledigt abgehakt oder erneut in den Mahnvorgang gebracht werden. KI liest die Verwendungszwecke aus, der Sachbearbeiter kommt nur in Zweifelsfällen ins Spiel. Da die Verwaltung sehr prozessorientiert ist, gibt es hier noch jede Menge Anwendungsmöglichkeiten.

Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell drei wichtigsten Herausforderungen für die kommunalen Finanzverwaltungen?

Lassen Sie mich das ganz plakativ und Stakkato sagen: Erstens, die Digitalisierung in Folge des OZG. Zweitens, die Umsetzung von §2b des UStG. Und dann ganz zentral und ein Dauerbrenner, der Ausgleich des Haushalts in Kombination mit nachhaltigem Liquiditätsmanagement.

Wie entspannen Sie, wenn Sie nicht an die Finanzen in Hessen denken?

Oh, ich mache meinen Job mit großer Leidenschaft und brauche eigentlich keine Abwechselung (lacht). Aber es gibt natürlich auch für mich ein Leben jenseits von Arbeit und Rechnungswesen. Nach 47 Jahren als aktiver Hobbymusiker in einer Brass-Band, bin ich seit drei Jahren begeisterter Hobbyläufer. Dreimal in der Woche absolviere ich mein Lauftraining und nehme regelmäßig auch an Wettkämpfen teil. Mit größter Freude setze ich mich aber auch abends auf das Sofa, höre Musik, lese gerne einen Eberhofer-Krimi und trinke dazu ein Glas guten Riesling von der Bergstraße oder aus der Pfalz.

 Herr Schemel, herzlichen Dank für das Gespräch.